Die Strumpfhose   Es begab sich einst an Heiligabend, zu einer Zeit, als ich ein kleines Mädchen war und noch ans liebe Christkind glaubte. Ihr könnt euch also vorstellen, dass die Begebenheit, von der ich euch erzählen möchte, schon sehr sehr lange her ist. Sie trug sich in einem Land zu, das hinter den sieben Bergen liegt, mit schneebedeckten Gipfeln und Wipfeln, wo die Menschen noch ursprünglich leben, Zipfelmützen und Lederhosen tragen und jodeln. Damals wie heute. 

In diesem Märchenland wuchs ich auf und glaubte an Osterhase, Nikolaus und Christkind. Manchmal glaube ich heute noch daran. Damals trug die weibliche Bevölkerung unter Röcken und Kleidern lange Strümpfe. Mit Strumpfhaltern. Wie bitte? Das tun sie heute auch? Ja, nur damals waren sie eher rustikal, und sie mussten sie tragen, weil es noch keine Strumpfhosen gab. Jedenfalls verhielt es sich so bis zu diesem besagten Weihnachten.
 
Da packte das Christkind ein Päckchen für das kleine Mädchen, legte es unter den Christbaum, klingelte noch geschwind am silbernen Glöckchen und flog eilends wieder himmelan. Das kleine Mädchen hörte den himmlischen Glockenklang, eilte zum Päckchen unter dem Christbaum, der mit seinen tropfenden Kerzen ganz wunderschön aussah, und öffnete flugs das Päckchen. Unter raschelndem Papier lag – schon erraten? Richtig, es war eine Strumpfhose, aus grauer Wolle! Das kleine Mädchen freute sich sehr. Es wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieses modische Teil höllisch kratzte, rutschte und ständig hochgezogen werden musste. Schlimmer aber war, dass das Christkind den heiss geliebten und unentbehrlichen Schnuller mitgenommen hatte. Sozusagen im Gegenzug für die Strumpfhose. Behaupteten jedenfalls die Eltern des kleinen Mädchen, als es den Schnuller zur Einschlafzeit am gewohnten Ort suchte und nicht finden konnte. 

Praktisch veranlagt und ohne Verzug schnappte es sich die Strumpfhose, packte sie wieder ein und klingelte mit dem silbernen Glöckchen nach dem Christkind. Es sollte die Strumpfhose wieder gegen den Schnuller tauschen. Dies sei sinnlos, meinten die guten Eltern mitfühlend. Das Christkind sei schon wieder gen Himmel geflogen, und zuvor habe es den Schnuller in die tiefe Iller geworfen. Da treibe er jetzt aufs Meer zu. Das kleine Mädchen weinte bitterlich und hatte aus verschiedenen Gründen keine rechte Freude an der Strumpfhose.

Viele Wochen später fand das kleine Mädchen in einer Küchenschublade ganz weit hinten einen Schnuller, der dem vermissten sehr sehr ähnlich sah. Aber inzwischen schien in dem  Land hinter den Bergen die warme Sonne, die kratzige rutschende Strumpfhose wurde durch rutschende Kniestrümpfe ersetzt, und der Schnuller – den konnte das Christkind jetzt auch  behalten.