Bier I + II BIER I
O'zapft is! Das ist der Schlachtruf des jeweiligen Münchener Oberbürgermeisters, dem es mit vorzugsweise wenigen Schlägen gelingt, das 1.Bierfass des aktuellen Oktoberfestes im September anzuzapfen. Initialzündung für alle Wiesn-Wirte, es ihm gleich zu tun und die Bierkrüge und mit ihnen einige Millionen Bierbäuche zu füllen. Mit diesen und anderen weißblauen Gepflogenheiten wuchs ich auf. Irgendwann beschloss ich, von Bayern nach Hamburg auszuwandern. (Justament zu dieser Zeit versuchte übrigens auch ein anderer Bayer, seinen Wirkungskreis auszudehnen.  Es war ihm aber nicht beschieden, Kanzler zu werden und so blieb er doch in Bayern...) Ich hingegen packte meine Siebensachen und steckte obendrein noch etliche  Flaschen Weißbier ins Gepäck. Dieses exotische Gesöff gab es damals nämlich noch nirgends oberhalb des berühmten Weißwurschtäquators. Überhaupt musste ich mich als gebürtige Bayerin damals ganz schön durchwurschteln, denn im Gegensatz zu heute galten die weißblauen Attitüden als rückständig. Inzwischen sind Dirndl und Lederhose mächtig angesagt, Brezeln, Leberkäs und das Oktoberfest hielten im gesamten bundesrepublikanischen Land Einzug und animieren zu nachhaltigem Bierkonsum. Und so vernimmt man landauf, landab und regional gefärbt, dass „anzapft, a'zapft“ oder wie auch immer ist und dass „oans zwoa drei“ oder „aans zwa“, jedenfalls „gsuffa!“ werden darf.  Es versteht sich von selbst, dass Brezeln, Weißwürscht und Leberkas in Begleitung von Radi und süßem Senf auf weißblauen Tellern liegen. Dass die fettigen Schaummünder von weißblauen Servietten abgewischt werden und weißblaue Wimpel das ansonsten herbstlich-goldene Farbenspiel dominieren. Kurzum: die bairische Lebensart hat sich etabliert und es darf ihr überall nach Herzenslust und hemmungslos gefrönt werden. Und so kann die gesamte Republik ein bisserl Bayern genießen, sogar ohne Franz-Josef. Aber mit mir. 

BIER II
Wem das ganze archaisch geprägte Biergelage suspekt erscheint und trotzdem nicht auf Biergenuss verzichten mag, der befindet sich heutzutage in guter Gesellschaft. Man kann sich zu Bierverkostung und Bierseminaren anmelden, um von selbst ernannten Bierpäpsten Unverzichtbares über die Braukunst zulernen. Vor allem lernt der Biergourmet, dass Bier nicht nur schmeckt, sondern dass es am Gaumen eine zarte Hopfenherbe und feine Malznoten erzeugt. Nicht zu vergessen das kräftige Mousseux und die deutliche Hopfennase. Für die Kunstfreunde unter den Biergenießern empfiehlt sich der österreichische Künstler Karl Moser. In meinem Österreich-Urlaub standen unter meinen Bierkrügerln von ihm gestaltete Bierdeckel, Motto: „Bier ohne Genuss ist wie Bier ohne Schaum!“. Er möchte dadurch die Phantasie des Betrachters wecken und zur individuellen Interpretation des dargestellten Motivs anregen. Was nach intensivem Genuss des edlen Kulturgetränks dem Einen und Anderen bestimmt gelingen mag!