Es begab sich einst am Nikolausabend, zu einer Zeit, als ich noch ein ganz kleines Mädchen war. Ihr könnt euch also vorstellen, dass die Begebenheit, von der ich euch erzählen möchte, schon sehr sehr lange her ist. Sie trug sich in einem Land zu, das hinter den sieben Bergen liegt, mit schneebedeckten Gipfeln und Wipfeln, wo die Menschen noch ursprünglich leben, Zipfelmützen und Lederhosen tragen und jodeln. Damals wie heute.
In diesem Märchenland wuchs ich auf und glaubte an Osterhase, Nikolaus und Christkind. Manchmal glaube ich heute noch daran. Damals trug die weibliche Bevölkerung unter Röcken und Kleidern lange Strümpfe. Mit Strumpfhaltern. Wie bitte? Das tun sie heute auch? Ja, nur damals waren sie eher rustikal, und sie mussten sie tragen, weil es noch keine Strumpfhosen gab. Jedenfalls verhielt es sich so bis zu diesem besagten Nikolausabend.
Da wartete das kleine Mädchen mit klopfendem Herzen auf den Nikolaus, der abends den braven Kindern Süßigkeiten brachte und für die nicht so braven seinen Knecht Ruprecht die Rute schwingen ließ. Ich war mir fast sicher, dass ich zu den braven Kindern gehörte, aber als es draußen rumpelte und schwere Stiefel vor der Haustüre stapften, versteckte ich mich doch lieber unter meinem Bett. Nach einer Weile rief meine Mutter nach mir, und gemeinsam mit ihr wagte ich die Tür einen Spalt zu öffnen. Ho ho ho! hörte ich den Nikolaus noch rufen, bevor er ins nächste Haus verschwand. Vor meinen Füßen stand ein Teller mit Schokolade, Lebkuchen und Äpfeln, und daneben lag ein kleines Päckchen. Rasch holte ich die Geschenke ins Haus und öffnete flugs das Päckchen. Unter raschelndem Papier lag – schon erraten? Richtig, es war eine Strumpfhose, aus grauer Wolle! Das kleine Mädchen freute sich sehr. Es wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dieses modische Teil höllisch kratzte, rutschte und ständig hochgezogen werden musste. Schlimmer aber war, dass der Nikolaus den heiß geliebten und unentbehrlichen Schnuller mitgenommen hatte. Sozusagen im Gegenzug für die Strumpfhose. Behaupteten jedenfalls die Eltern des kleinen Mädchens, als es den Schnuller zur Einschlafzeit am gewohnten Ort suchte und nicht finden konnte.
Praktisch veranlagt und ohne Verzug schnappte es sich die Strumpfhose, packte sie wieder ein und rief lauthals nach dem Nikolaus. Er sollte die Strumpfhose wieder gegen den Schnuller tauschen. Dies sei sinnlos, meinten die guten Eltern mitfühlend. Der Nikolaus sei schon wieder gen Himmel geflogen, und zuvor habe er den Schnuller in die tiefe Iller geworfen. Da treibe er jetzt aufs Meer zu. Das kleine Mädchen weinte bitterlich und hatte aus verschiedenen Gründen keine rechte Freude an der Strumpfhose.
Viele Wochen später fand das kleine Mädchen in einer Küchenschublade ganz weit hinten einen Schnuller, der dem vermissten sehr sehr ähnlich sah. Aber inzwischen schien in dem Land hinter den Bergen die warme Sonne, die kratzige rutschende Strumpfhose wurde durch rutschende Kniestrümpfe ersetzt, und der Schnuller – den konnte der Nikolaus jetzt auch behalten.